Neustart: Kita "Am neuen Ufer" in Mühlhausen

Sozialräumliches Arbeiten im Kindergarten "Am neuen Ufer"

Artikel in der Thüringer Allgemeinen vom 06. Mai 2020:

Die Kreisstadt hat eine neue Kindertagesstätte. Der Kindergarten „Am neuen Ufer“ könnte sich in den kommenden Monaten zu einem bisher einmaligen Projekt innerhalb des Trägers, dem Regionalverband Mitte-West-Thüringen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) entwickeln. Entstehen soll in dem Haus ein Sozialzentrum, das die umliegenden Einrichtungen, wie Seniorenheime, Schule und auch Anwohner stärker miteinander verbindet. 

Zu Jahresbeginn war aus den beiden Kindergärten Unstrutwichtel und Uferknirpse die neue Einrichtung entstanden – ein Neustart mit neuer Betriebserlaubnis, neuem Konzept und neuer Leitung. Heidi Kunstmann (38), vorher beim Landratsamt als Fachberaterin für Kindergärten tätig, ist seit 1. März die Chefin. „Ich wollte wieder an die Basis“, sagt die studierte Kindheitspädagogin. Die Pläne, die sie und ihr Leitungsteam mit der Awo entwickelt haben, sind ambitioniert.

Notbetreuung für mehr als ein Drittel der Kinder und bei vollem Personal

Schon in einem Jahr könnte sich das Haus als Begegnungsstätte für Jung und Alt neu aufgestellt haben. Die Voraussetzung dafür sei eine gute Netzwerkarbeit und die Gewinnung von Partnern, meint Heidi Kunstmann. So könnten Vereine die Räume nutzen und ihr Angebot mit den Familien teilen. Dabei spiele auch die Bewegung eine große Rolle. Sportvereine könnten mit ins Boot geholt werden. Das hilft bei der Nachwuchsgewinnung.

Theatergruppen, eine Gartenparzelle, Töpferkurse – all das ist schon in den Köpfen. Die Jugendarbeit sei ebenfalls ein wichtiges Thema. Es gehe aber nicht nur darum, das Haus zu öffnen, sondern vor allem die Köpfe, meint die Leiterin.

Dass der neue Kita-Name eher nüchtern und ohne Verniedlichung daher kommt, sei ihr ganz recht. Beim Namen-Wettbewerb entschied die Mehrheit für den formalen Namen. „Wir wollen eine Bildungsstätte sein“, sagt Kunstmann.

Dass die neue Leiterin im Grunde gemeinsam mit der Corona-Pandemie gestartet ist, wirft die Pläne etwas zurück. Viel gibt es zu organisieren. Dabei gehört der Kindergarten zu den Einrichtungen, die gerade in voller Personalstärke auch die Notbetreuung der Kinder übernehmen. Seien es zu Beginn nur zwei Kinder gewesen, werden ab kommender Woche 70 im Haus erwartet. Das fordert fast das ganze Personal der 35-köpfigen Belegschaft.

Zwar hatte die Stadt Mühlhausen den Träger gebeten, Kurzarbeit für die Erzieherinnen in Betracht zu ziehen, doch „Am neuen Ufer“ sei das derzeit kein Thema, sagt Katja Glybowskaja, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Awo. Die Notbetreuung der Kinder sei allein wegen zusätzlicher hygienischer Maßnahmen aufwendiger als unter Normalbetrieb. In den 27 Kindergärten des Regionalverbandes Mitte-West-Thüringen seien anfangs im Schnitt sieben bis zehn Prozent aller Kinder in der Notbetreuung gewesen. Nun seien es bereits ein Viertel und Am neuen Ufer sogar mehr als ein Drittel bei einer Rahmenkapazität von 200 Kindern. Das habe vor allem mit der Änderung der Berechtigtengruppen zu tun. Ein Problem sei jedoch, dass auch Erzieher und Lehrer selbst nicht grundsätzlich zur Notbetreuung ihrer Kinder berechtigt sind.

Heidi Kunstmann erklärt, dass es im Keller des Kindergartens eine Schleuse gibt, an der die Kinder von ihren Eltern abgegeben werden. Aufgeteilt in Gruppen von maximal zehn Kindern werden sie betreut, haben dabei immer die selbe Bezugsperson. Beim Spielen in den Räumen aber auch auf dem Hof gilt es, Abstand zu halten. Die meisten Kinder hätten das bereits gut verinnerlicht und würden sich daran halten, sagt Kunstmann.

So bestimmt die Organisation des Alltags unter den Corona-Schutzmaßnahmen einen Großteil der Arbeit des Leitungsteams. Viele Eltern hätten weinend angerufen und um die Aufnahme in die Notbetreuung gebeten. „Bei vielen bricht gerade das Familienleben auseinander, wenn die Eltern in Schichten arbeiten, sich kaum noch sehen.“ Doch da sind der Leiterin der Hände gebunden. Die Vorgaben sind klar.

Eltern, bei denen bekannt war, dass sie die Voraussetzungen für die Notbetreuung erfüllen, habe Kunstmann anrufen lassen. „Ich empfinde das als meine Pflicht.“

Weil anfangs wenige Kinder die Einrichtung besuchten, habe Kunstmann die Möglichkeit gehabt, sie und die Eltern besser kennzulernen – gar kein so schlechter Start in dem größten Kindergarten der Stadt. Es sei jedoch nicht einfach, mit den Eltern in Kontakt zu bleiben, da der Kindergarten noch keinen eigenen Internetauftritt hat.

Wann der reguläre Betrieb der Thüringer Kindergärten wieder aufgenommen werden kann, ist derzeit noch nicht klar. Heidi Kunstmanns Wunsch wäre, dass wenigstens die Vorschulkinder vor dem Schulstart noch ein paar Wochen kommen können. „Damit wir den Übergang mit Freude vorbereiten können“, so die Leiterin. Denn ob die Schuleinführungsfeiern stattfinden, ist ebenfalls ungewiss.

Hier finden Sie den Artikel der TA im Original:

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