Umarmungen fehlen besonders

Artikel in der Ostthüringer Zeitung vom 29.05.2020
Autor: Thorsten Büker

Jena: Probleme für junge Menschen durch Corona-Krise teils drastisch verschärft

In einer Umfrage unter 12- bis 23-Jährigen hat das Eastside Jugendliche gefragt, wie es ihnen in Corona-Zeiten geht.

Alltag: gleichförmiges tägliches Einerlei. Dass dieser Alltag aber vielen Menschen einen Halt gibt und in der Corona-Krise einen ganz neuen Wert erfährt, davon wissen Jugendliche zu berichten. Sie haben in den vergangenen Wochen ihre sozialen Beziehungen gepflegt, weil wichtige Orte wie das Eastside geschlossen waren. Was fehlt Dir am meisten? „Umarmungen“, antwortete eine Jugendliche – in Versalien und mit ganz vielen Ausrufezeichen.

Zwischen 30 bis 60 Kinder und Jugendliche besuchen das Eastside täglich. Mit der Schließung des AWO-Clubs im Osten der Stadt fehlte auf einmal etwas. Schule, Hausaufgaben, mit Freunden abhängen im Eastside, Alltag eben, der plötzlich nicht mehr funktionierte. Und während sich die Diskussion vor allem um die Schulen drehte, war Natalja Rieck klar, kreativ gegensteuern zu müssen.

„Wir haben das Jugendzentrum in die digitale Welt verlegt“, sagt die Sozialpädagogin und Leiterin des Clubs. Discord ist eine kostenlose Chatsoftware, die anonym funktioniert und mit der sich Nutzer auf unterschiedlichen „Kanälen“ zu Lieblingsthemen austauschen können. Ob per App oder am PC, „werde Teil der Eastside-Family und sprich mit uns über deinen Alltag“. „Uns ging es darum, Hilfsangebote zu unterbreiten“, sagt Rieck. So hätten Studien gezeigt, dass Einsamkeitsgefühle und Verunsicherungen groß seien trotz guter sozialer Beziehungen.

Die Wochen der „sozialen Distanz“ sind an den Kindern und Jugendlichen sowie den Familien nicht spurlos vorbeigegangen. „Die Berichte der jungen Menschen von Überforderung durch schulische Aufgaben, Streit und Stress zu Hause sowie Frustration durch das Wegbrechen von Freundschaftsbeziehungen oder Strukturen gleichen sich über alle Stadtteile hinweg und lassen darauf schließen, dass sich Problemlagen für junge Menschen zum Teil drastisch verschärft haben“, erklärten diverse Clubs bereits vor einer Woche.

Ergebnisse sind im „Eastside-Tunnel“ nachzulesen

„Am Anfang war es wie ein Urlaub. Jetzt ist es extrem schleppend und kaum zu ertragen, wenn man seine Freunde nicht mehr sehen kann“, sagt Sophie Martin. Die 17-Jährige besucht wie Max Voigt eine Berufsschule. Und das Eastside gehört für beide zum Alltag. „Der Tag hat keine Struktur mehr. Aufstehen, zur Schule gehen, sich mit Freunden treffen: All das fehlt. Jetzt kann man zwar ausschlafen, aber richtig glücklich macht das auch nicht“, sagt Max.

Und auch, wenn man sich im Eastside 2.0. nur virtuell begegnen könne: „Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass alle noch dabei sind“, sagt Sophie.

Natürlich: War das Handy für Jugendliche schon immer ein wichtiger Aspekt, verwandelten sich die Smartphones in der Krise in eine lebenswichtige Nabelschnur. Nur sie ermöglichten den Kontakt zur Außenwelt. Dass die technische Chancengerechtigkeit nicht immer gewährleistet ist, weiß auch Max Voigt. Er kenne auch Mitschüler, die eben nicht über einen Computer oder ein Laptop verfügten.

In einer Umfrage unter den 12- bis 23-jährigen Besuchern hat das Eastside Jugendliche gefragt, wie es ihnen in Corona-Zeiten gehe, welche Dinge sie besonders vermissten und was ihnen am meisten helfe, um diese schwierige Situation gut zu meistern. Insbesondere der unbeschwerte Kontakt zu Freunden, gewohnte Treffpunkte wie Jugendzentren und Konzerthäuser und Freizeitaktivitäten wurden genannt. Aber auch ansonsten so normale und mitmenschliche Interaktionen wie eben die Umarmungen waren ein Thema. Manche Antworten lesen wie eine Liebeserklärung an das Team: „Danke, dass ihr da und so unglaublich lieb und herzlich und einfach wundertoll seid <3.“ Ein Teil der Ergebnisse ist im „Eastside-Tunnel“ in der Kunitzer Straße nun öffentlich zu sehen. (…)

Seit dieser Woche hat das Eastside − wie auch unsere anderen Jugendzentren, das Hugo in Jena und das Grenzenlos in Bad Langensalza − wieder geöffnet!

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